Als Mitglied einer Partei, die schon vor 50 Jahren „Mehr Demokratie wagen“ wollte, kann man Elemente der direkten Demokratie nur befürworten.
Dass Politik und BürgerInnen damit verantwortungsvoll umgehen können, zeigt die Schweiz, sie hat damit aber auch eine lange Tradition.
Die Antwort von Ralf Stegner
Lieber Achim, vielen Dank für Deine Anfrage.
Gesine und ich sind sehr dafür, mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen.
Volksentscheide auf nationaler Ebene sehe ich aktuell eher zurückhaltend, gerade in Zeiten zunehmender unlauterer digitaler Manipulation, deren Ursachen und Spielarten wir erst mal halbwegs in den Griff bekommen sollten.
Auf Gemeinde- und Landesebene können wir gern noch offener werden und auch über Hürden diskutieren.
Ganz wichtig ist uns beiden, dass das Thema Politik und Demokratie viel mehr den Schulunterricht bestimmt, als derzeit.
Viele Grüße ins schöne Plön, Ralf Stegner
Die Antwort von Michael Roth
Lieber Achim,
eine stärkere Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger ist der SPD und mir persönlich seit langer Zeit ein wichtiges Anliegen. Allerdings führt der Weg zu Volksentscheiden auf Bundesebene nur über eine Änderung des Grundgesetzes. Das ist keine einfache Gesetzesänderung.
Zum einen ist wegen der Tragweite einer solchen Entscheidung und Änderung ein Prüfauftrag im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Dieser muss erst durchgeführt werden, bevor weitere Schritte beschlossen werden. Zum anderen sollte die Thematik auch deshalb nicht zur entscheidenden Frage für die Fortführung der Großen Koalition gemacht werden, da die Stimmen der Fraktionen von SPD und CDU/CSU gar nicht für die zur Änderung des Grundgesetzes erforderliche Zweidrittelmehrheit ausreichen.
Für die Fortführung der Großen Koalition sind deshalb zunächst andere Punkte maßgeblich. Die Frage von Volksentscheiden auf Bundesebene muss fraktionsübergreifend diskutiert und verhandelt werden.
Solidarische Grüße,
Michael
Die Antwort von Petra Köpping und Boris Pistorius
Wie stehst du zu Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene?
Wir haben mit direkter Demokratie in Gemeinden und Ländern gute Erfahrung gemacht. Deshalb sind wir dafür, die parlamentarische Demokratie in gesetzlich festzulegenden Grenzen durch die Möglichkeit von Volksbegehren und Volksentscheiden zu ergänzen. Diese Forderung ist auch Teil des SPD-Grundsatzprogramms.
Wie wichtig ist dir das Thema?
Direkte Demokratie ist wichtig, wir sollten das Potential von Volksentscheiden auf Bundesebene aber auch nicht überschätzen. Grundsatzentscheidungen auf diesem Wege zu treffen, kann zu einer höheren Akzeptanz führen. In vielen Themenbereichen ist ein Entscheid in einer ja/nein-Frage aber nicht sinnvoll.
Würdest Du darauf drängen, dass der Prüfauftrag im Koalitionsvertrag spätestens 2020 in einer Grundgesetzänderung mündet?
Im Koalitionsvertrag wurde die Einsetzung einer Expertenkommission zum Thema vereinbart. Das sollte zügig geschehen. Dass wir über eine Grundgesetzänderung kurzfristig Einigkeit erzielen, halten wir jedoch nicht für realistisch.
Wärest Du bereit an diesem Punkt die Große Koalition scheitern zu lassen, wenn die CDU sich verweigert?
Nein.
Beschlusslage der SPD zu Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene
Grundsatzprogramm der SPD von 1989, Berliner Programm:
Parlamentarische Demokratie und Mehrheitsprinzip
Wir bekennen uns zur parlamentarischen Demokratie.
…
Parlamentarische Demokratie vermindert und ersetzt nicht die Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Daher wollen wir die Bürgerbeteiligung ausweiten und das Petitionsrecht effektiver gestalten. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen Volksbegehren und Volksentscheid in Gemeinden, Ländern und Bund parlamentarische Entscheidung ergänzen. Die verfassungsrechtlichen Beschränkungen der Mehrheitsmacht gelten auch für die direkte Bürgerbeteiligung.
Grundsatzprogramm der SPD von 2007, Hamburger Programm:
3.3 Solidarische Bürgergesellschaft und demokratischer Staat
Die Demokratie lebt durch das Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Darum wollen wir eine starke, lebendige Bürgergesellschaft, in der die Menschen die Freiheiten der Meinung, der Vereinigung und Versammlung nutzen. Der demokratische Staat ist die politische Selbstorganisation der Bürgerinnen und Bürger.
…
Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund. Wo die Verfassung der parlamentarischen Mehrheit Grenzen setzt, gelten diese auch für Bürgerentscheide.
Regierungsprogramm der SPD 2009
S. 80:
…
Was wir wollen:
…
Direkte Demokratie. Wir wollen Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Bundesebene ermöglichen und dabei die Erfahrungen in den Ländern berücksichtigen.
…
Das SPD Regierungsprogramm 2013 – 2017
S. 97:
…
Wir wollen mehr Mitwirkungsrechte der Menschen bei der politischen Willensbildung.
Dazu werden wir auch auf Bundesebene Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide einführen. Für die notwendige Mehrheit einer Grundgesetzänderung werden wir bei den anderen Fraktionen werben.
…
Beschluss des ordentlichen Bundesparteitags der SPD vom 10. bis 12. Dezember 2015 in Berlin (auf Antrag des Parteivorstandes):
Unsere Demokratie stärken – mehr Transparenz, mehr Profil, mehr
Mitentscheidung, mehr Wahlbeteiligung!
…
Seit 1989 fordert die SPD, das Recht auf Volksabstimmungen ins Grundgesetz aufzunehmen.
Das würde den Bürgerinnen und Bürgern mehr Rechte zur Mitgestaltung einräumen und die Politik zwingen, ihre Gesetzgebung sorgfältiger zu begründen, wenn sie nicht Gefahr laufen will, in einer Volksabstimmung korrigiert zu werden.
Leider blockiert die CDU unter Angela Merkel bis heute beharrlich alle Vorschläge hierzu.
…
Regelung von Volksabstimmungen im Grundgesetz
Die SPD streitet aktiv für eine Grundgesetzergänzung, die das künftige Verfahren von Volksbegehren und Volksabstimmungen auf Bundesebene regelt.
…
Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU von 2018 :
XIII. Zusammenhalt und Erneuerung – Demokratie beleben
1. Bürgerbeteiligung
Wir werden eine Expertenkommission einsetzen, die Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann. Zudem sollen Vorschläge zur Stärkung demokratischer Prozesse erarbeitet werden.
Fragen an die Kandidat*innen zum SPD-Parteivorsitz
Liebe*r …
zur Wahl für den SPD-Parteivorsitz habe ich eine für mich zentrale Frage an Dich:
Was willst du dafür tun, dass den Wählerinnen und Wählern mehr direkte Mitentscheidung möglich wird, indem die SPD die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene initiiert?
- Wie stehst du zu Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene?
- Wie wichtig ist dir das Thema?
- Würdest Du darauf drängen, dass der Prüfauftrag im Koalitionsvertrag spätestens 2020 in einer Grundgesetzänderung mündet?
- Wärst Du bereit an diesem Punkt die Große Koalition scheitern zu lassen, wenn die CDU sich verweigert?
Deine Antwort würde ich gerne in meinem Blog „Sozialdemokratie für alle“ auf www.sozialdemokratie.de veröffentlichen.
Was ich zum Thema Volksentscheid denke, kannst du auf http://sozialdemokratie.de/?p=57 lesen.
Herzliche Grüße,
Achim
Volksentscheid auf Bundesebene jetzt!
Meine wichtigste Frage an alle Kandidatinnen und Kandidaten zum Parteivorsitz ist:
Was wollt Ihr dafür tun, dass den Wählerinnen und Wählern mehr direkte Mitentscheidung möglich wird, indem die SPD die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene initiiert?
Unsere repräsentative Demokratie lechzt seit Mitte der 80er Jahre danach, durch einige direktdemokratische Elemente ergänzt zu werden.
Dass das nie passiert ist, hat die Frustration bei Wählerinnen und Wählern in den vergangenen 40 Jahren mehr und mehr steigen lassen bis zur jetzigen Situation.
Die SPD hat die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid seit ihrer Gründung verfochten und auch in den vergangenen 30 Jahren viele positive Beschlüsse dazu gefasst auf Bundesparteitagen und auch Anträge in den Bundestag gebracht.
Aber wir haben es nie zur Voraussetzung für eine Große Koalition gemacht, dabei wäre die für eine Grundgesetzänderung mit 2/3 Mehrheit gebraucht worden.
Das hatte ich immer erhofft und erwartet.
Diesmal steht im Koalitionsvertrag:
Die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid soll geprüft werden.
Immerhin ein Fortschritt.
Wie weit ist denn die Prüfung bisher?
Ich habe noch nichts gehört.
Volksbegehren und Volksentscheid wäre für mich der Dreh- und Angelpunkt, an dem ich entscheiden würde, ob wir in einer großen Koalition noch 2 Jahre bleiben.
Haben wir erstmal Volksbegehren und Volksentscheid im Grundgesetz, dann können wir ganz anders Politik in Sachthemen machen, indem wir für Bürgerversicherung, Steuergerechtigkeit, Klimapolitik auch zusammen mit Bündnispartnerinnen aus der Gesellschaft (Umweltverbände, Sozialverbände, Gewerkschaften, Kirchen) für Volksbegehren streiten.
Und bitte:
Habt jetzt keine Angst vor der Auflösung der repräsentativen Demokratie!
Das ist eine Ergänzung und funktioniert in den Ländern und Kommunen meist ganz gut.
Nur die Bundes- und Europaebene fehlen.
Der Brexit ist kein Gegenargument: Das war ein von der Regierung verordnetes Referendum. Wenn es Volksbegehren in Großbritannien gäbe, dann hätte es längst eine 2. Abstimmung gegeben.
Ein Volksentscheid ersetzt einen Beschluss von Bundestag und Bundesrat. Und kann wie jedes Gesetz und jeder Beschluss des Bundestages auch wieder geändert werden, sei es durch einen Beschluss von Bundestag (und Bundesrat) oder einen neuen Volksentscheid.
Und natürlich kann ein Volksentscheid nie den Grundrechtsteil des Grundgesetzes aushebeln. Also die Einführung der Todesstrafe oder die Abschaffung von Grundrechten geht über einen Volksentscheid genauso wenig wie über einen Beschluss des Bundestages.
Natürlich machen Wählerinnen und Wähler genauso Fehler wie Politikerinnen und Politiker auch. Das geschieht bei Wahlentscheidungen, bei Volksentscheiden und bei Abstimmungen im Bundestag.
Daraus kann man lernen und es dann wieder korrigieren.
Aber gerade der Lernprozess ist ein wichtiger Bestandteil des Prozesses, um die Bevölkerung insgesamt politisch mündiger zu machen.
Ist das für die Menschen zu kompliziert?
Nein. Sie können immer noch ihre Entscheidung bei einem Volksentscheid nach einer Empfehlung einer Person ihres Vertrauens (der Bundeskanzlerin, des lokalen MdBs) oder einer Organisation ihres Vertrauens (Greenpeace, AWO, DGB, etc.) oder dem Leitmedium ihrer Wahl (Spiegel, Bild, RTL, …) fällen, ohne sich in die komplizierten Einzelheiten einer Materie einzuarbeiten.
Das dürfen sie bei Bundestagswahlen ja auch.
Natürlich besteht da ein Raum für Manipulation.
Aber nicht mehr als bei Wahlen, eher weniger.
Bestimmte Fragen trauen sich Politiker auch nicht anzugehen aus Angst vor den Wählerinnen und Wählern.
Und um alle mitzunehmen wäre es auch wichtig, bestimmte Themen in der Bevölkerung breit zu diskutieren und dann auch gemeinsam zu beschließen,
z.B. zur Frage:
Wie wollen wir unser Leben umsteuern, um den Klimawandel zu stoppen?
Da hilft keine Anordnung von oben, gegen die dann die „Kleinen“ protestieren, die die Mehrheit für sich beanspruchen.
So etwas Großes wie das Umsteuern Deutschlands und Europas angesichts der Klimakrise muss gemeinsam diskutiert und dann mehrheitlich in einem Volksentscheid beschlossen werden.
Die Frage ist: Vertrauen wir den Wählerinnen und Wählern?
Trauen wir ihnen zu, sich auch in einzelnen Sachfragen entscheiden zu können?
Oder trauen wir ihn nur zu, wie bei Wahlen zu Personen und ganzen Wahlprogrammen Stellung nehmen zu können?
Trauen wir den Wählerinnen und Wählern etwas zu?
Oder halten wir sie für dumm?
Demokratie lebt davon, wenn Politikerinnen und Politiker den Wählerinnen und Wählern vertrauen.
Und wenn diese den Politikerinnen und Politikern vertrauen.
Wenn wir den Menschen nicht vertrauen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn sie uns auch ihr Vertrauen entziehen.
Und genau das tun sie leider gerade.
Durch unser konsequentes Eintreten für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid könnte das anders werden.
Wir würden deutlich machen, wofür die SPD seit der Regierungserklärung Willy Brandts vor 50 Jahren steht: „Mehr Demokratie wagen!“
Wir würden die Wählerinnen und Wähler als Souverän ernstnehmen und ihnen etwas zutrauen.
Wir würden den Graben zwischen „den Politikern“ und den „den Wählern“ verkleinern.
Wir würden Ohnmachtsgefühle durch Ermutigung und Empowerment ersetzen.
Und wir würden uns auf einen gemeinsamen Weg politischer Lernprozesse machen, auf dem wir uns den Sachthemen zuwenden, die für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig sind.